Tag der Armutsbeseitigung

Heute vor 35 Jahren wurde zum ersten Mal der internationale Tag für die Beseitigung von Armut begangen – ein Tag, der an den Widerstand der Menschen, die von Armut und Ausgrenzung aufgrund ihrer sozialen Lage betroffen sind, erinnern soll. An diesem Tag soll es darum gehen, Menschen, die in Armut leben Gehör zu verschaffen und ihre Perspektive wahrzunehmen.

Denn auch Armut schränkt die Rechte ein und verhindert, dass Menschen ihre Rechte im vollen Umfang ausüben können.

Armut ist jedoch keine feststehende Eigenschaft eines Menschen. Die finanziellen Verhältnisse eines Menschen können sich über das Leben verändern, auch äußere Einflüsse wie Krankheit, Krieg oder andere Katastrophen haben einen Einfluss darauf, in welcher sozialen Lage sich eine Person befindet.

Schätzungen zufolge schaffen es ein Viertel bis ein Drittel der Menschen, die in Armut leben, ihre eigenen Verhältnisse zu verbessern. Das Leben in Armut kann jedoch auch über die finanziellen Verhältnisse hinaus wirken, z.B. wenn aufgrund von Armut kein höherer Bildungsweg möglich war bzw. ist oder bestimmte soziale Ausschlüsse wirken, die verhindern, dass soziale Kontakte hergestellt werden, die für eine bestimmte berufliche Laufbahn wichtig sind.

Die Prägung aufgrund der sozio-ökonomischen Situation wird deshalb auch als soziale Herkunft oder Klasse bezeichnet.

In unserem neuen Blogpost auf unserer Website soll es heute darum gehen, wie Armut und die soziale Herkunft den Alltag beeinflussen und welche Auswirkungen die Diskriminierungsform Klassismus auf den Alltag von Menschen hat, die sozio-ökonomisch benachteiligt sind.

Laut europäischer Union besteht Armut, wenn ein Mensch mit weniger als 60 % des mittleren Einkommens leben muss. Dies betrifft etwa ein Sechstel der Bevölkerung. Seit der COVID19-Pandemie leben in Deutschland ca. 13,8 Millionen Menschen in Armut, dies sind 600.000 mehr Menschen als 2019 vor der Pandemie. Doch gibt es noch deutlich mehr Personen, die mit einem hohen Armutsrisiko leben, verschuldet sind oder aufgrund ihrer sozialen Herkunft geringere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Auch nehmen 40 % aller Leistungsberechtigten Leistungen wie Arbeitslosengeld II nicht in Anspruch, obwohl sie es könnten. Besonders erwerbslose Frauen, die zuhause Care-Arbeit für Familie und Kinder nachgehen, verzichten hier häufig auf ihre Leistungen, obwohl sie einen Anspruch auf sie hätten.

Sowohl absolute als auch relative Armut hat umfassende Auswirkungen auf die Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe der betroffenen Personen und auf verschiedene Aspekte des Alltags.

Dies beginnt bereits bei den jeden Tag anstehenden Mahlzeiten. Viele Menschen können aus finanziellen Gründen nicht jeden Tag eine warme Mahlzeit zu sich nehmen. Auch können sich viele Familien nicht leisten, ihrem Kind ein Frühstück für die Schule mitzugeben. Die Deckung der Grundbedürfnisse ist hier also vielfach nicht möglich.

Auch die medizinische Grundversorgung ist häufig nicht gesichert. Obwohl es in Deutschland eine gesetzliche Krankenversicherung gibt, gibt es dennoch viele Behandlungen, bei denen Patient*innen Zusatzkosten übernehmen müssen. Oft ist aber auch der Besuch einer ärztlichen Praxis bereits schwierig, da das Ausfallen bei der Arbeit nicht möglich ist. Mitunter bleiben Krankheitssymptome dadurch unbehandelt und können sich zu schwerwiegenderen Krankheiten entwickeln, die dann auch finanzielle Folgen nach sich ziehen, wenn bspw. Berufsunfähigkeit besteht. Auch die zahnmedizinische Versorgung ist meist nicht umfangreich von der gesetzlichen Krankenversicherung abgedeckt. Krankheit und Armut hängen demnach eng zusammen, während Gesundheit sich mehr und mehr zu einem Privileg entwickelt.

Zu einem weiteren Grundbedürfnis zählen darüber hinaus die Wohnverhältnisse der von Armut betroffenen Personen. Kleine Wohnungen, in denen sich mehrere Familienmitglieder ein oder zwei Zimmer teilen müssen, können hier zu Konflikten unter den Personen führen, haben aber besonders auch bei gemeinsamen Arbeiten und Lernen einen Einfluss auf die Produktivität. Dies hat sich vor allem während der COVID19-Pandemie gezeigt, aber auch bereits beim Hausaufgaben machen und Lernen nach der Schule sind Kinder und Jugendliche eingeschränkt, wenn bspw. das Geschwisterkind im gleichen Zimmer spielt und laut ist.

Reparaturen, die im Alltag anfallen, wie bspw. eine kaputt gegangene Waschmaschine oder ein liegengebliebenes Auto bedeuten für in Armut lebende Menschen schnell eine finanzielle Krise, da auch Beträge bis zu 1000 Euro eine große Herausforderung darstellen. Fällt das Auto aus oder ist von vorneherein kein Auto vorhanden, fallen Kosten für den öffentlichen Nahverkehr an. Die stetig steigenden Preise für Einzel-, Monats- und Jahreskarten sind jedoch häufig nicht tragbar. Die große Popularität des Neun-Euro-Tickets hat gezeigt, dass die Senkung der finanziellen Schwelle für den öffentlichen Nahverkehr viele Menschen stark entlasten würde. Auch könnten so kleinere Urlaubsreisen in verschiedene Regionen möglichen werden.

Doch nicht für jede Person ist Urlaub bzw. Verreisen über mehrere Tage und in regelmäßigen Abständen überhaupt möglich, denn Ausflüge, Unterkünfte und weitere Kosten, die das Reisen mit sich bringt, sind ein Luxus.

Armut und die sozio-ökonomische Lage einer Person schränken somit deutlich die Teilhabemöglichkeiten ein. Kulturelle Teilhabe ist nicht möglich, wenn Freizeitaktivitäten aus Kostengründen reduziert werden müssen. Von Kino- bis Theaterbesuch, Sportverein oder Zoobesuch, musikalische Bildung oder Konzert, die Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen und Aktivitäten trägt zur Entfaltung der Persönlichkeit bei und ermöglicht die Partizipation im gesellschaftlichen Zusammenleben. Soziale Kontakte aufrechtzuerhalten und auszubauen, etwa um ein soziales Unterstützungssystem zu etablieren oder beruflich zu netzwerken, ist vielen nicht möglich, wenn bspw. neben einem regulären Job noch ein oder sogar zwei Nebenjobs nachgegangen wird.

Dazu kommt, dass alternative Aktivitäten zu den genannten kostspieligen kulturellen Angeboten häufig gesellschaftlich abgewertet werden. Viele Freizeitaktivitäten, denen Menschen, die in Armut leben nachgehen, werden häufig gesellschaftlich problematisiert. Die Lebenswelten der Menschen werden damit als illegitim eingestuft. Diskriminierungen aufgrund von Armut und sozialer Herkunft führen hier zu zusätzlichen Ausgrenzungen aus der Gesellschaft.

Von Stereotypen über „Hartz IV“-Bezieher*innen bis akademischem Sprachniveau oder stigmatisierendes Sprechen von „sozial schwachen“ oder „bildungsfernen“ Milieus und Personen – Klassismus grenzt Menschen aus und verhindert den Kontakt zwischen Menschen aus unterschiedlichen sozialen Klassen. Dies führt dazu, dass der Zusammenhalt in der Gesellschaft allgemein brüchiger wird.

Verstärkt wird Klassismus dabei noch durch andere Diskriminierungsformen wie Rassismus, Ableismus, Ageismus, Sexismus oder Queerfeindlichkeit.

So sind Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit oder Menschen „mit Migrationshintergrund“ sehr stark von Armut betroffen (35,3 % bzw. 28,1 %), weil zum Beispiel aufgrund von Diskriminierungen beim schulischen Aufstieg kein höherer Bildungsabschluss möglich war, auf dem Arbeitsmarkt ausländische Abschlüsse nicht anerkannt werden oder im Bewerbungsprozess rassistisch diskriminiert wird.

Die Beseitigung von Armut muss somit immer auch die Beseitigung von Klassismus, Rassismus und andere Diskriminierungsformen mitdenken. Nur wenn Diskriminierungsstrukturen in der Armutsbekämpfung mitgedacht werden, kann die soziale Teilhabe von Menschen nachhaltig verbessert werden.

 

 

 

 

 


Quellen:

https://www.deutschlandfunk.de/familien-mit-geringem-einkommen-leben-am-rande-der-armut-100.html

Statistiken: https://www.der-paritaetische.de/themen/sozialpolitik-arbeit-und-europa/armut-und-grundsicherung/armutsbericht-2022/  ; https://www.diakonie.de/wissen-kompakt/armut

 

Tag der Armutsbeseitigung

Meldung vom 17. Oktober 2022