Internationaler Coming Out Tag

Heute ist internationaler Coming Out Tag! Ein Tag, der im Jahr 1988 in den USA ins Leben gerufen wurde, und dazu aufrief, dass die, die sich dafür bereit fühlten, ihre sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität offenbarten.

Sinn und Zweck des Coming Out Tags war mehr Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit für LGBTQIA+ Personen zu schaffen und Queerfeindlichkeit zu reduzieren. Die Gründer*innen gingen dabei von der Annahme aus, dass wenn mehr Menschen davon wüssten, dass bekannte und geliebte Personen in ihrem Umfeld queer seien, sie aufgrund des wiederholten Kontakts mit der Person auch ihre eigene Queerfeindlichkeit abbauen würden.

Ein Coming Out konnte somit ein politischer Akt sein – gleichzeitig ist das Coming Out jedoch bis heute eine sehr persönliche und im Alltag immer wieder aufs Neue herausfordernde Erfahrung für queere Personen.

Es setzt die queere Community von der heterosexuellen Community ab: niemand muss seinen Eltern, Verwandten, Freund*innen oder Bekannten offenbaren, dass er*sie heterosexuell oder cisgeschlechtlich ist, denn Heterosexualität und Cisgeschlechtlichkeit ist die gesellschaftliche Norm.

Zugleich vereint es die queere Community, denn so gut wie jede queere Person ist den Prozess des Coming Outs durchlaufen und stellt sich ihm weiter jeden Tag.

Coming Out ist jedoch nicht gleich Coming Out.

Die erste Phase des Coming Outs

So lassen sich z.B. Phasen des Coming-out-Prozesses unterscheiden. In einer ersten Phase wird von der schwulen, lesbischen, bi+sexuellen, trans*, nicht-binären oder anderweitig queeren Person meist zunächst ein inneres Coming Out vor sich selbst bestritten. Dieser Prozess kann Monate bis Jahre dauern und ist sehr individuell, da sich jede Person auf unterschiedliche Weise mit der eigenen geschlechtlichen oder sexuellen Identität auseinandersetzt.

Wichtig zu bemerken ist, dass dieser Prozess häufig ohne die Involvierung von anderen Personen stattfindet oder dem näheren Umfeld zunächst nichts über den Prozess erzählt wird, z.B. aus Angst vor queerfeindlichen Reaktionen.

Auch, wenn die offenbarte geschlechtliche Identität oder sexuelle Orientierung für die später eingeweihten Personen damit überraschend ist, heißt dies also nicht, dass die queere Person sich vorschnell outet oder nicht darüber nachgedacht hätte. Der häufige Vorwurf der Unsicherheit über die eigene Identität bezieht die Phase des inneren Coming Outs oft nicht mit ein.

Coming Out – einmal oder mehrmals?

Für viele heterosexuelle Personen ist der Eindruck eines Coming Outs zudem häufig sehr oberflächlich. Es wird angenommen, dass ein Coming Out ein singuläres Event ist, bei dem alle wichtigen Personen über die sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität informiert werden, daraufhin relativ schnell Harmonie unter allen Beteiligten herrscht und die geoutete Person fortan stolz durch die Welt geht.

Jede queere Person erlebt den Coming-out-Prozess jedoch sehr unterschiedlich. Zwar kann durch ein Coming Out zu einem größeren Personenkreis oder gar einem (halb-)öffentlichen Coming Out z.B. über die sozialen Netzwerke ein wiederholtes Coming Out reduziert werden, häufig finden im Leben einer Person aber nicht nur ein Coming Out, sondern vielmehr viele verschiedene Coming Outs statt.

So wird meistens zunächst eine eng vertraute Person gewählt, der*dem gegenüber als erstes die sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität offenbart wird. Bei wem dann wann weitere Coming Outs stattfinden, ist sehr verschieden und variiert je nach Person und sozialen Umständen.

Coming Out bei trans* Personen

Auch unterscheidet sich das Coming Out von trans* Personen und nicht-heterosexuellen Personen darin, dass die sexuelle Orientierung im Gegensatz zur geschlechtlichen Identität in der Regel nicht offen sichtbar ist. Das Coming Out einer trans* Person kann bspw. in einem neuen Kleidungsstil bestehen oder anderen visuellen Veränderungen, wodurch eine trans* Person nicht unbedingt immer die Wahl hat, wer über ihre*seine Identität Bescheid weiß. Besonders wenn der korrekte Name und das Geschlecht noch nicht auf Ausweisdokumenten und anderen rechtlichen Dokumenten eingetragen werden konnte, kann es auch in gefährlichen Situationen dazu kommen, dass die trans* Identität offenbart werden muss. Die schnelle, einfache und kostengünstige Änderung von Ausweisdokumenten ist deshalb sehr wichtig für den Alltag von trans* Personen.

Coming Out im Alltag

Vor allem im Alltag finden für queere Personen wiederholte Coming Outs statt: jede queere Person kann oder muss sich potentiell bei jeder neuen Person outen, wenn sie*er dies möchte oder wenn es für die neue Person sinnvoll wäre, von der sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität der queeren Person zu wissen. Zum Beispiel besteht in manchen medizinischen Kontexten mitunter keine Wahl, ob man dem medizinischen Personal seine queere Identität offenbart oder nicht.

Auch auf der Arbeit unter Kolleg*innen kann es teilweise schwierig sein, persönliche Kontakte aufzubauen und vom eigenen Leben zu erzählen, wenn nicht alle Mitarbeiter*innen von der queeren Identität der Person wissen.

Die queere Person wird hier gezwungen, abzuschätzen, ob das Risiko von Queerfeindlichkeit, Ausgrenzung und Benachteiligung gering genug ist und ein Teil vom Leben mit den Kolleg*innen geteilt werden kann oder ob es sicherer ist, keine persönlichen Details zu offenbaren. Dies kann stark auf der queeren Person lasten, die bei einer Wahrscheinlichkeit von Queerfeindlichkeit ausweichend antwortet oder lügen muss, wenn es z.B. um private Freizeitaktivitäten mit Partner*innen geht. Sich nicht zu outen kann so auch zu psychischen Gesundheitsproblemen wie Depressionen führen. Queerfeindlichkeit wirkt somit nicht nur offen, wenn andere Personen von der queeren Identität der Person wissen, sondern auch verdeckt, wenn Coming-out-Prozesse verhindert werden.

Der gesellschaftliche Druck zum Coming Out

Der gesellschaftliche Druck, sich zu outen, ist mittlerweile jedoch ebenso groß. Ein Coming Out wird häufig mit Freiheit, Offenheit und Selbstbewusstsein in Verbindung gesetzt. Personen, die sich nicht outen wollen oder können, werden deswegen häufig als unehrlich, unfrei und schamvoll bemitleidet oder sogar abschätzig betrachtet, da angenommen wird, dass jede Person ein Coming Out gegenüber allen Personen in ihrem*seinem Leben haben müsste.

Von der mehrheitlich heterosexuellen Gesellschaft werden hier Coming Outs eingefordert – die Entscheidung einer queeren Person darüber, ob sie sich outen möchte oder nicht, sollte jedoch immer vollkommen ihrer*seiner eigenen Selbstbestimmung obliegen.

Auch wenn ein Coming Out für viele Menschen Erleichterung, mehr Freiheiten und Selbstbewusstsein mit sich bringt, muss betont werden, dass nicht jede Person gegenüber allen Personen in ihrem*seinen Leben ein Coming Out haben möchte oder haben kann. Aufgrund unserer westlichen und mittlerweile stark säkularen Gesellschaft wird jedoch häufig angenommen, dass ein Coming Out heutzutage kein Problem mehr darstelle. Dies ignoriert zum einen die verschiedenen kulturellen und religiösen Hintergründe, aus denen viele queere Personen kommen und zieht zum anderen auch die konservativ-christliche Prägung von Deutschland nicht in Betracht.

So kann eine queere Person sich z.B. aufgrund von Sicherheitsbesorgnissen gegen ein Coming Out entscheiden, da die Offenbarung der eigenen Identität bei vielen Personen queerfeindliche Gewaltreaktionen hervorrufen kann. Vor allem für trans* Personen ist das Risiko, in ihrem Leben von Gewalt betroffen zu sein, wesentlich höher. So haben Studien in Großbritannien gezeigt, dass 89 % aller Befragten trans* Personen schon einmal körperliche oder verbale Gewalt in der Öffentlichkeit erfahren haben. Auch in den USA haben trans* Personen eine 28 % höhere Wahrscheinlichkeit von körperlicher Gewalt betroffen zu sein.

Da viele queere Personen ihren inneren Coming-out-Prozess bereits als Teenager beginnen, kann die Entscheidung, mit dem Coming Out bis zum Auszug aus dem Elternhaus zu warten, eine Sicherheitsfrage sein, wenn ein möglicher Rausschmiss und anschließende Wohnungslosigkeit eine Befürchtung sind.

Ein weiterer Grund kann auch sein, dass bestimmte Beziehungen aufrechterhalten werden wollen. Weiß eine queere Person, dass z.B. bestimmte Familienmitglieder offen queerfeindlich sind, ist eine Entscheidung gegen ein Coming Out eine Entscheidung für die Aufrechterhaltung des Kontakts zu diesen Familienmitgliedern.

Ein weiterer Grund kann schlicht sein, dass die queere Person nicht im regelmäßigen oder engeren Kontakt mit einer Person steht und deswegen ein Coming Out nicht für relevant oder notwendig befunden wird. Vor allem im Alltag interagieren wir täglich mit zahlreichen Personen, nicht jede Person muss jedoch über die queere Identität informiert werden.

Ein neues Konzept: Inviting In

Deshalb wurde mittlerweile das Konzept „Inviting In“ entwickelt. Das Konzept des Inviting In legt den Fokus um: Es geht nun nicht mehr um die anderen Personen, gegenüber denen man sich outen muss und die damit die Macht darüber besitzen, die Existenz der queeren Person abzulehnen oder zu validieren.

Beim Inviting In wird sich hingegen darauf konzentriert, wen man als queere Person auswählen und einladen will, am eigenen Leben teilzuhaben. Sich dagegen zu entscheiden, jemandem seine sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität mitzuteilen, soll damit nicht mehr als etwas Unehrliches angesehen werden. Stattdessen soll der queeren Person ihre Macht und Entscheidungsfreiheit zurückgegeben werden, denn auch ein Leben ohne ein alltägliches Coming Out gegenüber jeder Person kann selbstverständlich erfüllt sein. Die Diskretion über die eigene sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität hat nicht zwangsläufig etwas über das Selbstbewusstsein in die eigene queere Identität auszusagen.

Coming Out – schon wieder?

Zuletzt ist noch zu bemerken, dass ein mehrfaches Coming Out nicht nur gegenüber verschiedenen Personen wiederholt stattfindet, sondern ein Coming Out auch mit unterschiedlichen Identitäten stattfinden kann. So kann eine Person, die sich zunächst als schwul oder lesbisch outet, später herausfinden, dass sie*er doch eigentlich bisexuell ist, weil sie*er sich in jemanden anderen verliebt hat. Auch kann sich z.B. ein trans* Mann zunächst als Mann identifizieren und später aber entdecken, dass seine*ihre geschlechtliche Identität eigentlich eher nicht-binär ist. Die Exploration der eigenen sexuellen und geschlechtlichen Identität ist ein langer und manchmal komplizierter Prozess und die eigene Identität kann sich über die Lebenszeit verändern. Offenheit gegenüber diesem Findungsprozess ist deshalb wichtig.

Wie nicht-queere Personen beim Coming-Out-Prozess helfen können

Wichtig zu wissen ist: der Coming-out-Prozess kann von nicht-queeren Personen erleichtert werden!

Wen jede*r im Alltag die eigenen Annahmen über andere Personen hinterfragt und darauf achtet, nicht vorschnell anzunehmen, dass jede neue Person heterosexuell und cisgeschlechtlich ist, werden Coming Outs irgendwann nicht mehr nötig sein.

Die offene Alltagskommunikation ist hier ein erster Schritt, mit dem der*dem Gesprächspartner*in signalisiert werden kann, dass Heteronormativität hinterfragt wird. Fragen Sie neue Kolleg*innen also bspw. einmal: Was macht ihr Partner oder ihre Partnerin beruflich? Nehmen Sie bei Ihren Kindern nicht an, dass der neue Schwarm immer das andere Geschlecht hat und verwenden geschlechtsneutrale Begriffe. Und fragen Sie einfach nach den verwendeten Pronomen einer Person, wenn Sie sich unsicher darüber sind, mit welchem Geschlecht sich er*sie identifiziert.

Mit diesen Gesprächsvorlagen wird ein Coming Out im Alltag erleichtert: die queere Person kann ihr Leben mit Ihnen teilen, ohne dass Sie Angst davor haben muss, sich erst einmal lange erklären zu müssen.

 

 

 

 

 


Quellen:

Browne, Kath; Lim, Jason (2008). Count Me In Too. LGBT Lives in Brighton & Hove. Trans People: Additional Findings Report, Spectrum LGBT Community Forum University of Brighton, Brighton.

Bolles, Alexandra (4 June 2012). „Violence Against Transgender People and People of Color is Disproportionately High, LGBTQH Murder Rate Peaks“. GLAAD.

Pachankis, John E. (2007). „The psychological implications of concealing a stigma: A cognitive-affective-behavioral model“. Psychological Bulletin. 133 (2): 328–345.

https://www.advocate.com/commentary/2020/10/11/we-need-move-beyond-coming-out-and-begin-inviting

Internationaler Coming Out Tag

Meldung vom 11. Oktober 2022