Gewichtsdiskriminierung im Alltag

Alltag mit Gewicht?

In unserem Themenmonat „In Vielfalt Leben“ geht es heute um das Thema Aussehen.

Wenn über Vielfalt gesprochen wird, geht es häufig um verschiedene Themen von Geschlecht über LGBTQIA+ bis Alter. Die Dimension Aussehen wird jedoch noch meistens ausgeblendet – dabei gibt es viele Menschen, die z.B. aufgrund ihres Körpergewichts Diskriminierungen erfahren.

Neben sozialer Herkunft ist Aussehen dabei eine weitere Vielfaltsdimension, bei der kein rechtliches Diskriminierungsverbot besteht. Im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz ist kein Diskriminierungsschutz aufgrund des Aussehens definiert.

Von Gewichtsdiskriminierung betroffene Personen haben deshalb momentan keine juristischen Möglichkeiten, um gegen ihre Benachteiligung vorzugehen. Dazu kommt, dass Stereotypisierung und Anfeindungen gegenüber höherem Körpergewicht nicht als gesellschaftliches Problem wahrgenommen werden.

Wenn beim Mittagstisch offen darüber geredet wird, dass man weniger essen muss, damit man nicht dick werde oder über dicke Menschen Witze fallen und Vorurteile weiterverbreitet werden, finden Abgrenzungen von mehrgewichtigen Menschen statt, die diese gleichzeitig ausschließen.

Nach einer Studie der DAK finden sogar 71 % aller befragten Deutschen, dass dicke Menschen unästhetisch aussähen. 61 % wiederum fragen sich, warum die dicke Person mehrgewichtig geworden ist und 36 % meinen, dicke Menschen wären an ihrem Körpergewicht selbst schuld. Die Stigmatisierung von höherem Körpergewicht ist in der deutschen Gesellschaft also weit verbreitet.

Um für das Thema zu sensibilisieren, möchten wir in unserem neuen Blogpost heute beleuchten, wie speziell Gewichtsdiskriminierung für viele Menschen ihren Alltag prägt.

Da uns unser Körper im Alltag zu jeder Zeit begleitet, gibt es viele Bereiche des Lebens, in denen Gewichtsdiskriminierung auftritt bzw. potentiell auftreten kann.

Lookismus, oder die individuelle und strukturelle Diskriminierung aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes (engl., „Look“), der Attraktivität, des Körpers oder der Kleidung hängt dabei eng mit bestimmten Schönheitsidealen zusammen. Ein junger, schöner, schlanker, fitter, weißer Körper ohne Behinderung, der eindeutig einem Geschlecht bzw. binärgeschlechtlich zuzuordnen und heterosexuell ist, wird dabei als Norm und Ideal gesetzt. Lookismus hat also nicht nur etwas mit dem Körpergewicht zu tun.

Da uns unser Körper in alltäglichen Situationen stets begleitet und über ihn bestimmte Identitätsmerkmale (Alter, Geschlecht, weiß oder BIPoC, Behinderung, über Kleidung auch soziale Herkunft) transportiert werden, hat er gesellschaftlich einen großen Stellenwert. Wir nehmen einen Menschen zunächst über seinen Körper wahr und beurteilen Menschen deshalb auch auf Basis ihrer Körper. Auch bei Diskriminierungen spielt der Körper deshalb eine zentrale Rolle. Body Shaming, Fettfeindlichkeit und Gewichtsdiskriminierungen sind also nur eine bestimmte Form von körperbezogener Diskriminierung, um die es heute näher gehen soll.

Fettfeindlichkeit wirkt sich auf multiple Weise auf den Alltag von mehrgewichtigen Personen aus. Das wohl bekannteste Problem liegt dabei im Prozess des Kleidungskaufes. Die Modebranche ist offenkundig nicht auf die Existenz von mehrgewichtigen Körpern ausgelegt. Die meisten großen Modeketten bieten nur die Konfektionsgrößen XS-L oder 32-40 an – dabei trägt die deutsche Durchschnittsfrau laut statistischem Bundesamt die Konfektionsgröße 42/44. Werden weitere Größen angeboten, werden diese oft als „Plus Size“ betitelt und haben ihre eigene Sektion im Laden – eine auch räumliche Ausgrenzung von dicken Personen wird vorgenommen. Bei diesen Größen handelt es sich häufig um eigene Kollektionen, der Zugang zur restlichen Ware bleibt der dicken Personen also trotz weiterer Größen häufig verwehrt.

Dies macht es schwierig für dicke Menschen angemessen gekleidet aufzutreten, modischen Trends zu folgen oder die eigene Persönlichkeit durch ihren Kleidungsstil auszudrücken. Obwohl nicht unbedingt andere Vorlieben für Prints, Schnitte oder Muster vorliegen, sind mehrgewichtige Personen gezwungen, die Mode zu tragen, die in ihren Größen angeboten wird.

Da sowohl bei der Jobsuche als auch bei sozialen Kontakten das äußere Erscheinungsbild eine wichtige Rolle spielt, kann das eingeschränkte Klamottenangebot erhebliche Folgen für die mehrgewichtige Person haben und zu Diskriminierungen in der Arbeitswelt oder Ausschluss aus dem gesellschaftlichen Miteinander führen.

Die Ausgrenzung aus dem sozialen Leben ist auch durch die Diskriminierung in Verkehrsmitteln oder (Innen-)Architektur häufig. So sind die Gänge in öffentlichen Verkehrsmitteln bspw. sehr eng ausgerichtet, sodass mehrgewichtige Personen, aber auch Menschen mit Behinderung oder Menschen mit Kindern häufig Schwierigkeiten haben, sich darin zu bewegen.

Auch die Sitze von Bussen, Bahnen bis Flugzeugen oder auch Toiletten sind nur auf sehr dünne Personen ausgerichtet. Gerade bei Verkehrsmitteln, die mit höherer Geschwindigkeit unterwegs sind, kann dies erhebliche Folgen bei einem Unfall haben.

Zu Ausgrenzungen im sozialen Leben kommt es auch, wenn Stühle unbequem sind, da die Breite zwischen den Armlehnen eng ist oder die Sitzschale nur für dünne Menschen hergestellt wurde. Auch die Ausrichtung von Stühlen zu Tischen kann zu schmal sein. Dies alles verhindert, dass eine mehrgewichtige Person sich länger an einem Ort wie einem Restaurant, einer Bibliothek oder einem öffentlichen Wartebereich aufhalten will.

Tödliche Folgen hat die Gewichtsdiskriminierung im Alltag vor allem, wenn es um die routinemäßige oder krankheitsbedingte Interaktion mit medizinischem Personal geht. Viele mehrgewichtige Menschen berichten davon, dass sie wegen spezifischen Beschwerden bei einem*einer Ärzt*in waren, diese*dieser jedoch nur über das Körpergewicht sprechen wollte, ohne auf andere Symptome einzugehen. Zu späte oder falsche Diagnosen führen hier zu weiteren gesundheitlichen Folgen. Fettfeindlichkeit im medizinischen Bereich ist dabei keine Seltenheit. Eine verschiedene Länder (Australien, Kanada, Frankreich, Deutschland, Großbritannien und die USA) vergleichende Studie fand heraus, dass 62,6 bis 73,5 % aller Befragten bereits einmal Gewichtsdiskriminierung bei einer*einem Ärzt*in erfahren haben.

Besonders die psychische Gesundheit von mehrgewichtigen Menschen wird dabei häufig ignoriert, obwohl Gewichtsdiskriminierungen zu Scham, Minderwertigkeitsgefühlen, Depressionen oder Essstörungen führen können. Diskriminierte dicke Personen haben aufgrund des psychischen Drucks bei Diskriminierungen laut einer US-amerikanischen Studie deshalb ein 60 % erhöhtes Risiko, frühzeitig zu sterben. Die psychische Gesundheit stellt hier ein höheres Gesundheitsrisiko dar, als eventuelle gesundheitliche Probleme durch höheres Gewicht.

Die körperliche Vielfalt unserer Gesellschaft anzuerkennen und Gewichtsdiskriminierung und Fettfeindlichkeit entgegenzuwirken, muss deshalb ein zentrales Anliegen für uns alle sein. Die Aufnahme der Diversitätsdimension Aussehen und/oder Körpergewicht in das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ist hier ein kurzfristiges Ziel, das zumindest rechtlichen Diskriminierungsschutz für von Gewichtsdiskriminierung betroffene Personen geben kann.

Doch darüber hinaus muss auch ein gesellschaftliches Umdenken stattfinden: Nur, wenn Vielfalt auch Gewichtsvielfalt heißen kann, kann die Repräsentation und Teilhabe von mehrgewichtigen Menschen gestärkt werden.

 

 

 

 

 


Quellen:

Puhl, R.M., Lessard, L.M., Pearl, R.L. et al. International comparisons of weight stigma: addressing a void in the field. Int J Obes 45, 1976–1985 (2021). https://doi.org/10.1038/s41366-021-00860-z

Sutin A, Stephan Y, Terracciano A: Weight discrimination and risk of mortality. Psychological Science 2015; 26(11): 1803–11.

https://www.dak.de/dak/bundesthemen/xxl-report-so-werden-dicke-menschen-ausgegrenzt-2116512.html#/

https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Gesundheitszustand-Relevantes-Verhalten/Tabellen/koerpermasse-frauen.html

https://www.jolie.de/mode/deutsche-durchschnittsfrau

https://bnn.de/nachrichten/baden-wuerttemberg/fatshaming-gewichtsdiskriminierung-friedrich-schorb-soziologe-bodypositivity-diskriminierung

 

Gewichtsdiskriminierung im Alltag

Meldung vom 6. Oktober 2022